Es ist Halloween – und es ist Critical Mass. Eine wunderbare Gelegenheit, sich und seinem Rad ein eher ungewöhnliches Outfit zu verpassen. Eines davon ist uns besonders aufgefallen: das modifizierte Gehzeug.
Es ist bereits dunkel, als wir Benjamin Georg letzten Freitag kurz vor der Critical Mass am Mariannenplatz treffen. Ausgestattet mit einer Kopflampe baut Ben an einer Installation rund um sein Bullit-Lastenrad. Das Ziel ist eine Fahrrad-Interpretation des sogenannten »Gehzeugs« des Wiener Professors für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik Hermann Knoflacher: ein Holzrahmen in Automobilgröße, der um den eigenen Körper herum getragen wird. Inspiriert wurde Ben dazu auch von der lettischen Fahrradgruppe »Let’s bike it«. Das »Gehzeug« auf ein Lastenrad zu schrauben ist jedoch ein Berliner Novum.
»Es geht darum, eine Konstruktion um mein Rad zu bauen, die ähnlich viel Platz wie ein Auto einnimmt, um damit zu verdeutlichen, wie wenig Platz man eigentlich als Fußgänger und auch als Fahrradfahrer im Unterschied zu einem Auto braucht”, so Ben. »Ich habe hier jetzt einen Rahmen aus Bambus von 1,7 Meter Breite und 3 Meter Länge, das entspricht schon einem sehr kompakten Kleinwagen. Die meisten PKWs verfügen sogar über einen umbauten Raum von etwa 4×2 Metern. Hinzu kommt der durch Geschwindigkeit beanspruchte Raum um sie herum, in dem sich ja auch niemand sicher aufhalten kann.
Aber dafür haben in einem Auto auch mehr Leute Platz, oder? »Klar, dieses Rad ist ein Einsitzer. Aber auch Autos werden meist nur von einer Person genutzt. Und transportieren kann ich auch so einiges. Für mein Bullit gibt es passende Kisten, die ein Ladevolumen von bis zu 250 Liter fassen.«
Wie werden wohl die Autofahrenden auf das Gefährt reagieren? »Ich habe festgestellt, dass gilt: je mehr Platz man einnimmt, desto mehr Platz wird einem auch zugestanden«, berichtet Ben. Mit dem Lastenrad werde er deutlich seltener angehupt und auch vorsichtiger überholt als auf einem normalen Rad (Das hören wir öfter von Lastenradfahrenden). Seine Erwartung sollte sich während der Critical Mass erfüllen. Gemeinsam mit Jakob Wilhelm, ebenfalls mit umrahmtem Lastenrad unterwegs, fuhr Ben meist am Ende der Tour. »Niemand hat versucht, sich an uns vorbei oder gar in die CM hinein zu schlängeln. Die Autofahrenden haben gesehen, dass wir groß sind und das einfach akzeptiert.« Auch die Critical-Mass-Teilnehmer waren begeistert: »Alle haben sich total gefreut, die Radfahrer um mich herum fanden dieses Objekt großartig, haben gejubelt. Und die Intention war den meisten sofort klar.«
Und wie ging es nach der CM weiter? Die beiden haben mit einigen anderen CM-Teilnehmenden (unter anderem einem rosa Hasen auf einem Lastenrad mit Soundanlage und Diskokugel) noch eine spontane Party mit einem vorbeiziehenden Zombie-Chor gefeiert. Dann, so Ben, »kam ein Anwohner und hat meinen Bambusrahmen beschädigt (oha!) – eine von den langen Seitenstreben ist gebrochen, als er das Bike anheben wollte. Was dabei sein konkretes Ziel war, habe ich nicht erfahren. Er war über den Lärm der Anlage des Hasens erbost – und hat sich an meinem Bike ausgetobt. Ich habe mich mit ihm gut unterhalten, nach fünf Minuten sind wir wie zwei vernünftige Erwachsene auseinandergegangen, er hat sich entschuldigt, wollte den Schaden zahlen. In der Zeit hat der Zombie-Chor aber schon mit Klebeband den Rahmen geflickt und für mich Geld gesammelt, was sie mir dann feierlich überreicht haben. Dann sind alle friedlich ihrer Wege gegangen. Die Halloween CM in Berlin war aus meiner Sicht eine sehr erfolgreiche und runde Geschichte.
Und übrigens hat das vom Zombie-Chor gesammelte Geld die gesamten Produktionskosten für beide Bambusrahmen gedeckelt – über €30! Ich würde mich daher gerne beim dahergelaufenen Zombie-Chor für die schöne Gabe bedanken.«
PS: Wie hoch der Platzverbrauch verschiedener Verkehrsarten ist, hat kürzlich Martin Randelhoff vom Blog Zukunft-Mobilität errechnet. Dabei ist auffällig, wie stark die beanspruchte Fläche der Verkehrsmittel mit der gefahrenen Geschwindigkeit zunimmt.
(Grafik: Martin Randelhoff, www.zukunft-mobilitaet.net – CC BY 3.0)